Auszüge aus:
Oliver Marchart, Mag. Dr. phil, PhD, ist Assistent am Institut für Medienwissenschaften der Universität Basel.
http://www.medienheft.ch/dossier/bibliothek/d19_MarchartOliver.html
Cultural Studies sind heute, was immer als solche bezeichnet werden (von deutschen Hochkulturwissenschaften bis zu populistischen Madonna-Studies) - das ist aus vielen Gründen unbefriedigend.
Ansprüche eines Cultural Studies-Projekts:
(+)Von Anfang an erhoben Cultural Studies einen sozialen Bildungsanspruch
(+)pädagogisch-politisches Handeln markiert den Beginn der CS: das Unterrichten ausserhalb universitärer Mauern. Die Bücher der Cultural Studies waren selbst oft das Ergebnis dieses Handelns.
(+)Cultural Studies erweisen sich als das Produkt einer Generation, deren Angehörige gewissermassen zwischen die Kulturen geraten sind. Aufgrund dieser sind sie in der Lage, das akkumulierte Kulturgut neu zu 'sehen', es sich auf andere Weise anzueignen, es zu verarbeiten und fortzubilden
(+)Wie bereits gesagt, ist Kultur für die Cultural Studies nichts Aussergewöhnliches. Im Gegenteil, Kultur ist, wie Raymond Williams insistiert, gewöhnlich: culture is ordinary - ist Teil des Alltags. Sie ist damit keine Angelegenheit des rein Geistigen oder Vergeistigten, wie dies die Hochkultur zu sein vorgibt. Kultur ist affektiv, ist durchzogen von Gefühlsstrukturen, von structures of feeling (man denke nur an Fankulturen), die die Alltagserfahrungen einer Gemeinschaft miteinander verbinden. Sie ist ausserdem eine ganze, umfassende Lebensweise, a whole way of life. Das heisst, es lässt sich in der Gesellschaftstopographie kein spezifischer Ort der Kultur zuordnen. Wir alle schwimmen, um ein abgegriffenes Bild zu verwenden, in Kultur wie Fische im Wasser. Es gibt also kein Leben und keinen gesellschaftlichen Ort jenseits von Kultur. Zugleich ist Kultur nicht nur ein whole way of life, sondern auch, wie Edward P. Thompson anmerkt, ein whole way of conflict. Man darf sich Kultur nicht als in Benetton-Farben getauchtes friedlich-fröhliches Nebeneinander vorstellen. Die Elemente einer Kultur stehen zueinander in Beziehung innerhalb einer umfassenden Konfliktart, worunter Thompson eine Form des Kampfes auch zwischen Lebensweisen versteht.
(+) Kultur, Identität und Macht bilden somit etwas wie ein "
magisches Dreieck": Die Kategorien von Kultur, Identität und Macht stehen in einem untrennbaren Wechselverhältnis. Keine ist ohne die beiden anderen zu haben.
(+) Eine Cultural Studies-Analyse zeichnet sich dadurch aus, dass die Kategorie Kultur nur eingesetzt werden kann, wenn zugleich die Kategorie der identitätsproduzierenden Macht aufgerufen wird - denn sonst handelt es sich, wie gesagt, nicht um eine Cultural Studies-Analyse sondern um Pop-Feuilleton.
(+) Cultural Studies sind jene intellektuelle Praxis, die untersucht, wie soziale und politische Identität qua Macht im Feld der Kultur (re-)produziert wird. Ausserdem stehen Cultural Studies mitten in diesem Dreieck (Kultur, Identität und Macht )
(+) Die Vorstellung der wissenschaftlichen Vogelperspektive muss zurückgewiesen werden. Cultural Studies sind selbst eine kulturelle Praxis und also machtbasiert. Genau dies ist nun aber auch der Grund, warum sie überhaupt bewusst eingreifen können (etwa im Rahmen der New Left oder der Erwachsenenbildung): Das Wissen, das sie produzieren, wird als gesellschaftlich positioniert erkannt und lässt sich daher bewusst neu positionieren. Die Wissensproduktion der Cultural Studies dient der bewussten Intervention.
(+) Die Cultural Studies sind Bestandteil des Kreislaufs, den sie beschreiben wollen. Sie können die Beziehungen zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen kontrollieren und kritisieren. Sie können in die Überwachung untergeordneter Gruppen einbezogen oder in Kämpfe um eine angemessenere Darstellung dieser Gruppen verwickelt werden. Sie können Teil des Problems oder Teil der Lösung werden.
Der Medienbegriff der Cultural Studies:
"Media Studies"
Als Teil der Cultural Studies mussten die Media Studies vor allem mit der so genannten "Mass Communication Research" der amerikanischen Sozialwissenschaften brechen.
Stuart Hall (1980) spricht von genau vier Brüchen:
# Erstens mussten die Media Studies mit dem behavioristischen
stimulus-response-Modell brechen, in dem von einer direkten Beeinflussung der "audience" durch die Medienbotschaft ausgegangen wird. Stattdessen wurden Medien von Hall et al. als
kulturelle und ideologische Kraft verstanden.
# Zweitens wurde mit der Vorstellung gebrochen, die Botschaft sei ein transparenter Träger von Bedeutung. Von hier aus ergab sich ein verstärktes Interesse an der linguistischen und ideologischen Struktur der Botschaften, was zur Übernahme semiotischer und schliesslich diskursanalytischer Modelle führte.
# Drittens wurden traditionelle Konzeptionen einer
passiven "audience" (wie sie etwa der "Zuseherforschung" durch die TV-Anstalten zugrunde liegen)
ersetzt durch die Konzeption einer
aktiveren "audience", die sich die Bedeutung der Botschaften qua Dekodierung selbst erarbeitet, womit auch oppositionelle oder von Seiten des Senders ungewollte Bedeutungen produziert werden können.
# Und schliesslich befasste sich die Media Group mit der Rolle, die die Medien "in der Zirkulation und Sicherung dominanter ideologischer Definitionen und Repräsentationen" (Hall 1980: 118) spielen.
MEDIENFUNKTIONEN
Hall spricht ihnen eine dreifache kulturelle Funktion zu:
- Als "signifying institutions" stellen die Medien zum Ersten die Mittel zur Verfügung, die es sozialen Gruppen erlauben, sich eine Vorstellung zu machen nicht nur von ihren eigenen Werten, Meinungen und Praktiken, sondern auch von denen anderer Gruppen und Klassen: "This is the first of the great cultural functions of the modern media: the provision and selective construction of social knowledge, of social imaginary, through which we perceive the 'worlds', the 'lived realities' of others, and imaginarily reconstruct their lives and ours into some intelligible 'world-of-the-whole', some 'lived totality'" (Hall 1979: 340f.).
- Zum Zweiten ordnen und inventarisieren die Medien das Repertoire an Bildern und Ideen, das es erlaubt, die fragmentierten Teile der Gesellschaft in ein Ganzes, in die Totalität des Sozialkörpers zu imaginieren. Sie erstellen normative und evaluative Klassifikationen und Hierarchien. Ihre Aufgabe ist die des "mappings" eines pluralisierten und fragmentierten Sozialen, d.h. sie kartographieren. Die Medien als "signifying institutions" konstruieren dadurch ein soziales Imaginäres, sie entwerfen ein ganzes Inventarium an Bildern, Lebensstilen und Klassifikationen, das es erlaubt, die soziale Realität zu kartographieren, zu regeln und in eine bestimmte konsensuelle Ordnung und imaginäre Kohärenz zu bringen.
- In den Medien werden die verschiedenen Meinungen in die "mystische Einheit des 'Konsenses'" (Hall 1979: 339) reorganisiert. Das schliesst ein, dass die Medien nun nicht mehr als Institutionen verstanden werden können, die diesen Konsensus bloss reflektieren, sondern sie produzieren ihn aktiv, sie sind Konsensmanufakturen. Produkt dieser Manufakturen ist eine "konsensuale Imagination" und "common sense" (Alltagsverstand). Dies ist die dritte kulturelle Funktion der Medien.
Schlussatz von Oliver Marchart
Das Plädoyer der Cultural Studies würde also folgendermassen lauten: Wenn wir der tatsächlichen gesellschaftlichen Rolle der Medien auf die Spur kommen wollen, müssen wir unsere Analysekategorien aus Medien- oder Kommunikationstheorie auf offener See umbauen.
Medien wären dann nicht zu verstehen als Mittel der Übertragung von Botschaften, sondern als Institutionen der Erzeugung und Artikulation von konsensualer Bedeutung im Rahmen
hegemonialer Auseinandersetzungen.
Zusammenfassung aus:
http://www.medienheft.ch/dossier/bibliothek/d19_MarchartOliver.html
links
http://www.mediamanual.at/mediamanual/workshop/cultural/einfuehrung/index.php
sapna - 28. Aug, 15:17